4 Apr 2016

SWtoR: Emergency Room (2)

Der Verstand vermittelt ihr, dass sie nicht in ihrer Wohnung (oder im Bereitschaftsraum auf der Liege) ist, sondern in einem Raumschiff, noch bevor sie die Augen wieder öffnet. Es ist ein Wachwerden von der Art, bei der man sich sicher ist, dass man auf gar keinen Fall die Augen aufmachen möchte. So wie vor zwei Wochen. Nach dem Notruf, Nach dem Metallpfeiler im Leib einer Freundin, nach ihrem von ihr persönlich festgestellten Todeszeitpunkt. Aber auch damals hat sie die Augen aufgemacht.
Der Unterschied zu heute ist: Sie kennt hier niemanden. Nur Kalle wüsste, dass es nicht normal für ihre Verhältnisse ist, sich in traumatischen Situationen auch normal zu benehmen. Also: Angst, Panik, Schock, Nervosität, Verlustängste, Existenzängste. So wie die verstörten Geiseln sich vermutlich gerade fühlen. Die Ärztin atmet tief durch und erforscht ihr Inneres mit Zeit und Ruhe. Da wohnt eine geniale aber vorlaute Psychiaterin in ihrem Verstand, und die gibt ihr grünes Licht. Sie behauptet, der Zustand sei nicht optimal, aber auch nicht besorgniserregend. Therapieren wir selbst, meint sie, oder wir tanzen es raus. Je nachdem, was zuerst nötig ist und möglich sein wird.

Ihr Lager ist nicht bequem, was sie so sehr überrascht, dass sie abrupt die Augen öffnet und die Umgebung scannt. Bequem oder nicht hat sie noch nie gestört. Man schläft wo man kann, wenn die Zeit dafür da ist. Außerdem ist ihr Meditation sowieso schon immer wichtiger gewesen. Sie ist einfach hilfreicher.

Mhia setzt sich auf und reibt sich kurz die Augen. Kalle schnarcht irgendwo, hat vermutlich doch noch den Flachmann geleert. Sie hört leise Stimmen, jemand unterhält sich. Sie greift nach ihrem Arztkittel und will ihn überziehen, verzichtet aber angesichts der fast bis zum Ellbogen blutrot eingefärbten Ärmel und den dicken, steifen Blutflecken an der Front. Den zieht sie besser nicht an, sollte ihn aber dringend waschen, findet sie. Denn wenn sie so über die auf dem Schiff anwesenden Personen nachdenkt, hat hier kaum jemand ihre Größe. Sie kann sich also keine Kleidungsstücke ausleihen, um nicht nach soziopathischem Mörder oder leidenschaftlichem Metzger - oder beidem!- auszusehen.
Der junge Mann, der ihr den perfekten Tee gebracht hat käme eventuell in Frage. Aber selbst der ist größer als sie.

Sie dehnt ihren Nacken und steht auf. In einer unsicheren Situation tut man Dinge, die einem Sicherheit geben. Dinge, die man beherrscht, die man kontrollieren kann. Kalle ist da leider im Moment schlecht bedient. Er kann niemanden erschießen und sein Flachmann scheint leer zu sein. Er starrt unglücklich auf seine riesigen Hände und sieht auch nicht auf, als sie an ihm vorbei in die Medbay geht, in ihre Sicherheitszone.
Der Patient ist stabil und schläft. Die Anästhesie war wirklich gut berechnet. Sie huscht um diejenigen herum, die den Verletzten nicht allein lassen können. Mit knappen Erklärungen beruhigt sie die anderen. Alles in Ordnung, er kommt durch. Lassen Sie Sich bitte nicht von mir stören, reine Routine. Diese riesige Chiss scheint besonders besorgt, bemerkt sie. Scheinbar emotionales Engagement von so einer Person. Erstaunlich und interessant. Ihre innere Psychiaterin legt schon mal ein Profil an und ist enttäuscht, als Mhia ihren Fokus wieder auf dein eigentlichen Patienten legt. Später, verspricht sie und deutet dunkel an, dass das für so ziemlich jeden an Bord gilt.

Mensch, männlich, Mitte vierzig, etwa eins-achtzig groß, etwa 85 schwer, schätzt sie und kontrolliert die Blutwerte, Leber und Nierenfunktion. Sie sucht nach Auffälligkeiten, nach Hinweisen. Er hat noch beide Nieren und ist mit Kolto vollgepumpt, stöhnt die kleine preisgekrönte Chirurgin in ihrem Verstand genervt auf. Ich bin spitze, schnurrt sie hinterher, und hey: 12 Minuten! Neue Bestzeit!
Der innere Monolog des medizinischen Alphatieres geht voller Selbstbewusstsein weiter, bis sie eine Wundauflage entfernt - dann ist einen Momentlang Totenstille im Kopf.
DAS war ich nicht, gehen dann beinahe hysterisch die Beschwerden los, ich bin doch kein Anfänger!
Mhia schnauft durch die Nase aus, besorgt sich einen Mundschutz, findet den richtigen Gewebekleber und den richtigen Faden. Diese Medbay ist wirklich gut ausgestattet. Warum aber so etwas horten und nicht anwenden, kreischt ihr die Chirurgin in den Verstand und deutet auf Faden und Kleber. Na, das sind offensichtlich Soldaten. Da geht es im Notfall nur um “lebt” und nicht um “sieht gut aus”, meldet sich die selbstsichere Stimme einer Jedi zu Worte.

Die Ärztin holt sich etwas zum Draufstehen heran, um die geringe Größe auszugleichen und lässt ihren Verstand ganz in Ruhe weiter mit sich selbst diskutieren. Sie beugt sich über die Wunden und beginnt damit, die Wundränder zu präparieren. Solange der Mann schläft und mit den Wundern der Medizin vollgepumpt ist, sollte sie die Ruhe dafür finden. Das ihr dabei jemand auf die Finger gucken könnte, ist sie gewohnt. Sie ist _gut_, das weiß sie, und sie hat das richtige Material zur Verfügung. Warum also nicht dafür sorgen, dass es “hübsch” wird, wie ihre tote Freundin sagen würde? Narben sind zwar keine Schande, aber nicht jeder zeigt sie gern herum.

Man muss sie auch nicht immer sehen müssen, findet sie, wenn man die Wahl hat.
Sie ignoriert das Jucken auf der linken Wange und beginnt mit ihrer Arbeit, während in ihrem Verstand selige Ruhe und Ordnung einkehrt. Wenn sie hier fertig ist, wird sie endlich schlafen können.

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