1 Apr 2016

SWtoR: Emergency Room (1)

... vor zwei Tagen ...

Alle treten vom Tisch zurück. Selbst der Droide, der bis eben noch die Anästhesie berechnet und überwacht hat. Niemand sagt etwas. Der Sanitäter, der seinen Kameraden hereingetragen und mit erstaunlicher Selbstbeherrschung mitgeholfen hat, den Brustkorb zu öffnen, starrt schweigend auf die Null-Linie. Seine Arme hängen kraftlos herab, bis zu den Ellbogen mit Blut besudelt, die frische Uniform komplett ruiniert.
Stille.

“Zeitpunkt des Todes: Siebzehnuhrdreiundfünfzig”, durchbricht die erstaunlich dunkel klingende Stimme der Ärztin die unwirkliche Atmosphäre, die mit dem Dauerpiepton der Nulllinie kreiert wurde. Der Droide schaltet das Display aus und damit auch diesen nervigen Ton. Neben ihm fängt der Assistenzarzt damit an, die Instrumente aus dem Körper des Toten zu holen, die nicht mehr benötigt werden. Leise tauscht er sich mit der Ärztin kurz über die weitere Vorgehensweise aus, bis diese endlich aufsieht und hörbar durchatmet.

Im grellen Licht des Raumes wirkt auf ihn alles verfremdet, übertrieben plastisch. Vielleicht ist es Absicht, mutmaßt er im Stillen, vielleicht bleibt so ein Patient Patient und wird nicht zu Person. “Der wievielte ist es, Doktor?” hört er sich fragen und schafft es mit Mühen, den Blick von dem riesigen Loch in der Brust des Soldaten abzuwenden, der dort auf dem Tisch liegt. Sein Kamerad.
“Der Dritte. Mein Dritter, um genau zu sein. Aber ich bin erst seit zwei Stunden im Dienst und was ich die letzten fünfunddreißig Minuten hier getan habe, wissen Sie. ich bin über die Verluste der letzten Nacht noch nicht informiert worden.”
Er starrt ihre grauen Iriden an und nickt die Antwort ab und stellt fest, dass ihre Stimme offenbar immer so klingt: beherrscht, sicher und ein bisschen tiefer als man es ihr zutrauen würde. Irgend etwas passiert gerade, und er kann nicht festmachen, was es ist. Erschöpfung, vermutlich. Das Adrenalin ist verbraucht und im Augenblick gibt es nichts zu tun. Der Kopf ist leer.

Der Doktor macht einen Schritt zurück und ist plötzlich mindestens fünfzehn Zentimeter kleiner als zuvor, als sie auf ihn zugeht. Sie stand bis eben auf einem Tritt am Behandlungstisch, erinnert er sich.
“Kommen Sie, ein Caf und ein Proteinriegel werden Ihnen jetzt gut tun.” Sie muss zu ihm aufsehen, weil er sie um gute anderthalb Kopflängen überragt. Mit den knappen, unbewussten Handgriffen einer Person die das tagtäglich tut, zieht sie die Handschuhe von den Händen und den OP-Kittel vom Oberkörper und stopft alles in einen Behälter. Wieder hat er das Gefühl, dass hier etwas passiert. Nichts Schlimmes, eher etwas… Sicheres, Beruhigendes, dass ihm die Möglichkeit gibt, sich wieder zu bewegen, die Schockstarre abzustreifen und sich neben die Ärztin zu stellen.
Wasser rauscht, der klinische Geruch der Seife dringt ihm in die Nase, dann wird er hinaus geschoben und stellt fest, dass er problemlos in der Lage ist, ihre Fragen zu beantworten.


... heute ...
In der Notaufnahme Aurek-Ost des Coronet Medical Centers ist seit Wochen und Monaten sprichwörtlich die Hölle los. Ständig werden Verletzte angeliefert. Nicht etwa einzeln, sondern gleich zu Dutzenden. Die meisten medizinischen Einrichtungen haben erhebliche Verluste zu verzeichnen, doch hier ist man bis jetzt bis auf ein paar Kleinigkeiten weitestgehend verschont geblieben. Ärzte, die zu Einsatzorten geschickt wurden, kamen entweder gar nicht zurück oder ebenfalls schwer verletzt. Ein paar davon werden nie wieder in der Lage sein, Patienten zu behandeln und liegen seither in der Komastation. Die Schiffsbesitzer und Hobby-Piloten unter Ihnen haben die Arbeit in den OPs und auf den Stationen niedergelegt und sich freiwillig gemeldet, um sich den Verteidigern anzuschließen. Mit jedem weiteren Angriff der Invasoren waren es mehr: mehr Opfer, mehr Patienten, mehr Ärzte und Pflegepersonal, das ins Cockpit steigt, mehr tote Ärzte. Mit jedem Angriff kommen sie näher. Irgendwann wird es auch auf den Gebäudekomplex Trümmerteile oder ganze Schiffe regnen, abgeschossen, explodiert und unflickbare Risse und Löcher in die verbliebene medizinische Versorgung der Stadt reißend.
Das Coronet Medical Center verfügt über mehrere Notaufnahmen, auf verschiedenen Ebenen, denn die einzelnen Gebäude sind hoch gebaut und über zwei Straßen miteinander verbunden. Dieser Planet gehört dem Schiffsbau und den Piloten. Also müssen sie auch anfliegbar sein und man entschied sich beim Entwurf des Gebäudekomplexes für eine Aufteilung.

Sie selbst befindet sich im Augenblick im Erdgeschoss. Zivilisten nehmen grundsätzlich den Weg durch diese Station, so wie Einsatzkräfte von Unfallorten ihre Patienten immer öfter auf den eigenen Armen hereintragen. Die CorSec-Beamten finden in der Regel auch ihren Weg hierher.
Diese Station ist das Herz der Notaufnahmen, denn hier gibt es den Plan. Eine riesige Holo-Projektion am Ende des überdimensionierten kreisrund angelegten Raumes mit ca. 150 Betten und anschließenden OP-Sälen und Trauma-Räumen, sowie Zugang zu einer eigenen Notfall-Station und der Wohlfahrtsklinik, die irgendein rührseliger Witwer vor fünf Jahren gespendet hat. Sie haben also Platz, viel Platz. Wie es sich für eine führende medizinische Institution Corellias gehört - und doch ist es seit neuestem immer noch zu wenig.
Der Plan ist Kontrolle, er sorgt für Ordnung im Chaos der stets wechselnden Patienten in den einzelnen Betten und Behandlungsräumen, jedes Bett und jeder Raum ist ausgestattet mit einem Datapad, dass direkt auf ihn zugreifen kann. Der Plan zeigt an, welcher Arzt an welcher Stelle behandelt. Er zeigt an, wie viele Medi-Droids eingesetzt sind und wo. Er hat Untermenüs, die über ein extra Display abrufbar sind und auf Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten, Behandlungs- und Verbandsmaterial hinweisen, wenn es nötig wird. Der Plan schickt Warnhinweise an das Personal, wenn es die zulässige Anzahl an Arbeitsstunden überschritten hat. Warnhinweise, die von den meisten mindestens zweimal ignoriert werden, ehe sie frustriert nach Hause oder in die Bereitschaftsräume schleppen. Nur um sich nach dem Nötigsten an Schlaf dem Chaos erneut zu stellen.

Der Plan ist das Wichtigste in diesen Zeiten, denn er stellt neben einer Liste der aufgenommenen Patienten auch eine Liste der Verstorbenen aus. Deswegen befindet er sich mit seinem zusätzlichen Display und der Bedienkonsole auf einem Podest, für jeden einsehbar. Das Podest hat sich als ausgesprochen nützlich erwiesen, als Dr. Mhia Callee nach dem ersten Angriff die Leitung der zentralen Notaufnahme komplett übertragen bekommen hat, denn die Ärztin ist klein und schmal und fällt deswegen auf den ersten Blick trotz des weißen Arztkittels nicht gleich als Autoritätsperson auf. Sieben Jahre im Coronet Medical Center haben sie gelehrt, dass die meisten ihrer Kollegen nicht gern nach unten sehen, wenn sie Anweisungen entgegen nehmen sollen. Deswegen stellt sie sich grundsätzlich auf das Podest direkt vor den Plan, wenn sie mit ihren Kollegen als Gruppe spricht. Dann hören sie ihr zu und können ihr gleichzeitig in die Augen sehen. Dann funktionieren sie und halten sich an den Plan. So wie heute.

Die Liste der verstorbenen Patienten ist mal wieder viel zu lang, findet sie. Gern hätte sie sich die Zeit genommen, ein paar Behandlungen im Detail zu besprechen, um zu sehen ob nicht mehr hätte erreicht werden können. Aber Zeit ist die rarste und wichtigste Ressource von allen. Niemand hat Zeit, außer den Toten. Also läd sie mit einem stillen Seufzen die vierte Liste des heutigen Tages in den Plan und sieht zu, wie sich die Namen der Toten alphabetisch in die bereits angezeigte Liste einreihen. Hinter ihr bricht eine ältere Twilek in heftige Schluchzer aus und zieht damit die Aufmerksamkeit auf der übrigen anwesenden Angehörigen auf den Plan und die Liste. Mhia nutzt den Augenblick, um das Podest zu verlassen und ihre Tasche aus dem Büro zu holen. Die Trauer der Angehörigen ist endlos. Die Verwaltungsleitung hat alle verfügbaren Mitarbeiter aus den psychiatrischen Stationen um Trauerbegleitung gebeten, was sie von Anfang an unterstützt hat. Tod und Krankheit und Verletzung ist nicht alles, was geheilt werden muss.

Das dritte Warnsignal wegen Überschreitung der Regelarbeitszeit piepst in ihrer Kitteltasche enervierend vor sich hin, als Mhia in ihrem Büro ein paar Kleidungsstücke in ihre Sporttasche wirft und den Reißverschluss zuzieht. Das kleine Sofa in der Ecke ist noch immer unordentlich mit Bettzeug bezogen und daran etwas zu ändern ist auch im Moment nicht ihr wichtigstes Anliegen. In den letzten zwei Wochen hat sie hier in dem kleinen Raum campiert, um immer in der Nähe des Geschehens zu sein, um nützlich zu sein.
“Hey.”
Die brummige Männerstimme in ihrem Rücken riecht nach Whiskey. Das weiß sie, ohne nahe genug am dazu gehörigen Mann zu stehen, der den Türrahmen beinahe komplett ausfüllt mit seiner enormen Größe. Er hat sich mit der Schulter angelehnt und klopft lasch auf den medizinischen Notfallkoffer, dessen Trageriemen auf der anderen Schulter hängt.
“So’n Verwaltungsfuzzi will, dass wir das mitnehmen. Bis’ wohl wichtig. Hab’ gesagt, ich trag ihn, du kriegst den ja nicht mal über den Boden gezogen, wenn du dich voll in die Riemen legst.”
Mhia schmunzelt einseitig, nur auf der guten Seite ihres Gesichtes, wie es für sie üblich ist. Lieutenant Kalador Londar, der Witwer ihrer besten Freundin, macht selbst im Trauersuff noch Witze über ihre geringe Größe. Das scheint der Grundstein ihrer Freundschaft zu sein, nachdem sie Liz vor zwei Wochen verloren haben. Sie selbst hat eine ganz andere Art, Verluste zu verarbeiten gelernt. Eine Art die Kalador so unverständlich ist, dass es sie beschämt es ihm zu erklären. Also trinkt er und sie arbeitet. Bis gestern Abend, als er plötzlich in ihrem Büro stand und Witze über ihre Größe, ihre Frisur, ihr Aussehen und ihre Art im allgemeinen gemacht hat, als wäre nie etwas gewesen. Seine Art um Hilfe zu bitten.
“Du hast gesagt, du gehst duschen!” wirft sie ihm vor, ihm die Normalität anbietend, um die er stumm zu bitten scheint. Trauer kommt in Wellen, weiß sie. Also gönnt sie ihm die Ruhe und spielt mit, ehe ihn die nächste überrollt.
“Hab gedacht, du hilfst mir dabei”, kontert er charmant wie eh und je - wenn da nicht die roten Augen, die tiefen Augenringe und die Whiskeyfahne wären, “und jetzt komm, wir müssen dich füttern, ehe du noch kleiner schrumpfst!”

Gemeinsam verlassen sie das Büro und kurze Zeit später das Gebäude und gehen schweigend nebeneinander her. Ein ungleiches Gespann, dass Liz einmal als Streichholz neben Kleiderschrank betitelt und sich köstlich darüber amüsiert hat. Wieder schmunzelt Mhia einseitig und sieht zu dem Hünen neben sich auf. Er schmunzelt nicht. Sein Blick ist leer und fern und seine Züge gezeichnet von Schmerz.
Sie nehmen die Raketenbahn und verbringen den Rest des Weges in ihre winzige Wohnung schweigend. Hier hat er sich einquartiert, mit einem Schlafsack und einem Kissen auf ihrer Coch. In seiner eigenen Wohnung ist er seit dem Tod seiner Frau und der Beurlaubung vom aktiven Dienst nicht ein einziges Mal gewesen. Immerhin hat er Bier- und Whiskeyflaschen aufgeräumt und irgend etwas gekocht oder aufgewärmt, denn es riecht nach Essen.
“Ich will irgendwas machen, Mhia. Kannst du mich nicht irgendwie… Gesund schreiben?”
Seine Beurlaubung wurde verlängert, bis ein ein Psychologe ihm ein Okay gibt, den Dienst wieder aufzunehmen. Also solange, bis man ihn für nüchtern und funktional genug hält, eine Waffe auf die richtigen Ziele abzufeuern.
“Du bist nicht krank, Kalle. Nur in Trauer. Außerdem hast du gekocht! Das ist auch was.”
Einen Mann wie Kalador Londar zu beurlauben ist, als würde man einen wilden Sandpanther in einen winzigen Zwinger einem kreischenden Publikum zur Schau stellen. Wenn er nichts tun kann, nicht nützlich sein und seiner natur nachgehen kann, geht er ein.
“Bist du nicht auch so’n Psycho-Doc, Doc?”
Er lehnt sich entspannt an die kleine Theke, die die winzige Küche vom Wohnzimmer trennt. Also den Raum, der gerade genug Platz für Wohnungstür, Couchtisch, Couch und einen Sessel bietet.
“Nja, bin ich. Mach ich aber trotzdem nicht”, murrt sie schmollend und schnutet eine Weile nachdenklich - bis ihr einfällt, dass er sie jetzt breit angrinst, weil er das witzig findet. “Wenn du’s schaffst, nüchtern zu bleiben, kannst du morgen mitkommen. Wir brauchen jede Hand.”
“Echt?!”
“Echt.”
“Da find’ ich sicher ‘ne Psycho-Doktorin, die viel netter ist als du.”
“Bestimmt.”
“Kommst du mit duschen?”
Mhia wirft ihm ein zusammengeknülltes Geschirrtuch zielsicher an den Kopf. “Bleib nüchtern und lass den Kleinen Kalle da, wo er hingehört!”
Er lacht kurz auf, doch seinem Lachen fehlt das Leben, stellt sie fest. Dann deutet er auf den Topf. “Iss die Suppe, oh Königin von Verklemmtistan. Vielleicht knackt dann mal jemand deinen Keuschheitsgürtel freiwillig!”
Sie hat gerade kein Geschirrtuch mehr zum werfen, also öffnet sie den Kühlschrank, greift hinein und erwischt ein Stück weichen Käse, mit dem sie auf seinen Kopf zielt und der ihn gut erwischt - mitten in den heiligen Dreadlocks.
“Oh-oh.”
Mhia stutzt und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Der alte, der normale Kalador müsste sie jetzt eigentlich durch die Wohnung jagen, um sich fürchterlich für die Verschandelung seiner Frisur zu rächen.
Der neue trauernde Kalador dreht sich einfach um und geht duschen.

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