17 Apr 2009

Wie man mit einer Klinge umgeht

Der kalte Stein der niedrigen Mauer an ihrem Rücken wird der dünnen Person langsam unangenehm. Noch unangenehmer sind jedoch die Stellen daneben, welche die Wärme ihres Körpers noch nicht annehmen konnten, wie sie im Stillen feststellen muss, als sie versucht eine bequemere Position einzunehmen.
Teresa fährt sich mit der freien Hand durch das unordentliche kurze Haar, horcht einen Augenblick in die Nacht hinein, die sich auf die stille Siedlung Hierfold gelegt hatte.

Nichts.

Es kommt ihr wie eine Ewigkeit vor, dass sie im kleinen Haus der Frau heimlich durch die Fenster spähte, um herauszufinden, ob sie schon zu ihrem allabendlichen Dauerlauf durch die Moore aufgebrochen war oder nicht.
Sie hatte das Haus dunkel und leer vorgefunden und sitzt seither an der Steinmauer des angrenzenden Grundstückes, um auf sie zu warten.


Die freie Hand greift nach dem roten Apfel neben sich. Ihr Magen knurrt vernehmlich, quittiert mit einem bitteren Lächeln und dem lächerlichen Gedanken, dass sie durch ihr Magenknurren aufgespürt werden könnte.
Hineinbeißen und das stechende Gefühl des Hungers etwas dämpfen will sie nicht, der roten Frucht ist ein anderes Schicksal bestimmt worden.

Nein. Der Apfel ist für sie. Zumindest werde ich ihn bei ihr lassen, als stille Botschaft – an wen auch immer.
Was für ein dämliches Markenzeichen ich mir angeeignet habe….


Ihr Magen knurrt wieder, unterbricht ihre Gedanken einen Augenblick lang. Teresa beugt sich vor und umschlingt ihre Beine mit den Armen, die Umrisse des Apfels im Mondlicht betrachtend.

Ob ich einen regelmäßigen Sold verdienen will?
Mein Bier selbst bezahlen will?
Regelmäßig gutes Essen haben möchte?
Vollidioten, hirnlose, blinde, gleichgültige, selbstverliebte, arrogante Vollidioten.
Wie sie alle denken ich sei dumm, oder faul, oder unfähig zu irgend etwas.
Wie sie alle Mitleid haben und dem armen Straßenmädchen helfen wollen,
Meine Seele retten, insgeheim darauf hoffend, dass diese gute Tat ihrer Eitelkeit zuträglich sein könnte. Ein Spiel, das sie ohne mich spielen müssen.
An Silber oder Goldmünzen zu kommen ist nicht kompliziert. Im Auktionshaus achtet niemand auf sein Geld, im tänzelnden Pony schon gar nicht. Zur Not kann ich noch immer die Beine breit machen.

… und Cecily, das dämliche Miststück empfiehlt mich ausgerechnet dieser kranken Bande von Klingenhuren. Was hat sie sich dabei gedacht?
Ich bin nicht mehr im Geschäft. Was bringt es, sich als Klingenhure zu verdingen, wenn man eigentlich aufhören will? Im Grunde ist es nämlich dasselbe: Ich würde mich verkaufen.
Ich will mich nicht mehr verkaufen.


Ein Geräusch in ihrem Rücken lenkt Teresa von ihren eigensinnigen, wütenden Gedanken ab. Sie fährt herum, lautlos, späht kurz über die Mauer um sich ein Bild zu machen und entdeckt – niemanden.
Ein Windstoß in den Blättern, ein Eichhörnchen vielleicht. Reglos verharrt sie, die Augen schließend, um sich auf die Geräusche der Siedlung zu konzentrieren.

Nichts.
Mist, verdammter. Wo bleibt sie nur?
Liegt vielleicht unter diesem… Mann. Drakomir, oder so. Aus der Heimat, soviel steht fest, so wie sie.
Nun, ihr Pech. Sie brachte den Stein ins Rollen, Sie hat sich dann wohl den falschen Liebhaber ausgesucht und auf mich gehetzt, sie war mein Druckmittel – was nicht gewirkt hat – und jetzt wird sie zum Beweis dafür, dass ich es verdammt ernst meine.
Ein einziger Satz hätte gereicht. „Es geht ihm gut“. Ich hätte nicht sagen können, ob er lügt.
Nein, das ist falsch. Ich weiß, dass er nicht gelogen hätte. So einer lügt nicht über seine Kameraden.
Es geht ihm gut!
Ja, das wäre es gewesen. Warum sagt er mir auch, dass er eine „Klinge“ ist. Pech gehabt, nun lernt seine Freundin meine Klingen kennen – ich habe zwei. Gute Freunde von mir, nur nicht allzu gesprächig.

… ich hoffe, es geht ihm gut.


Leise Schritte nähern sich knirschend auf dem Gehweg. Teresa blickt auf und schmunzelt diebisch in sich hinein. Da kommt sie, langsam und erschöpft nach dem anstrengenden Lauf.
Sie wird noch eine Weile brauchen, bis sie das kleine Haus erreicht und es betritt.
Bis es soweit ist, fällt ihr der Schatten jenseits der Steinmauer am angrenzenden Grundstück nicht auf, der sich fast fließend dem oberen Ende nähert.

Ich könnte niemals eine Klinge sein, hat er gesagt. Arroganter Idiot.
Warum sollte ich das auch wollen? Ich muss keine Klinge SEIN, wenn ich zwei recht scharfe mein eigen nenne und sie gar zu nutzen weiß.
Was ist das überhaupt für ein Schwachsinn mit den Klingen? Klingenhuren sind sie. Besseres Wort. Passender.
Ich weiß nicht, was Freundschaft bedeutet, hat er behauptet.
Vielleicht weiß ich es, nur derjenige, den ich Freund nenne, der weiß es nicht. Die, die ihm am nächsten sind, kennen mich nicht. Also bin ich ihm wohl peinlich, die hungernde ehemalige Dirne, mit der Narbe und dem schmutzigen Gesicht, einen Kamm kennt sie auch nicht. Das bin ich wohl.
Aber eine Freundin? Niemals.
Sie geht jetzt zur Tür, ich muss näher heran, damit ich sie gut erwische.

Lautlos wagt Teresa sich in den Garten des Hauses vor, darauf achtend, hinter der Waffenmeisterin zu bleiben.

Manchmal denke ich, er durchschaut mich. Sieht, das ich absichtlich hungere, mich herumtreibe, mich förmlich in den Ärger stürze, mein Haar so kurz halte, dass niemand hineingreifen kann und der Dreck im Gesicht eine geliebte Maske ist, hinter der sich die „echte“ Terese gern versteckt.
Manchmal wirkt er, als wüsste er genau, dass ich nicht so dumm bin wie ich rede, nicht so ungeschickt, wie ich mich gebe. Aber fragt nicht, er spricht nicht mit mir, niemals.
Einmal hat er es versucht, war neugierig. Das ist lang her. Danach keine Fragen, kein Interesse. Ist das ein Freund? Sieht er mich überhaupt Irgendwie?
Will ich das?
Arnandir stellt auch keine Fragen, aber das ist anders. Er ist nicht gleichgültig im Gegensatz zu….
Sie ist bei den Stufen, gleich öffnet sie die Tür.
… warum verliebe ich mich auch ausgerechnet in einen Krüppel…
Sie trägt leichte Kleidung, ich werde kein Problem mit dem Stich haben.
Hoffentlich bekomme ich ihren Kopf richtig zu fassen, sonst erwischt sie mich und sie ist verdammt kräftig.
Sie darf mich nicht erkennen.

Als Cecily die Tür weit genug geöffnet hat, um das dunkle Haus betreten zu können, spürt sie die kalte Klinge Teresas am unteren Rücken. Sie ist kampferprobt, doch so schnell sie der Situation gewahr wird, so geschwind greift ihr eine geschickte Hand ins Haar und schlägt ihren Kopf mit einem Ruck gegen den hölzernen Türrahmen.
Teresa steht schmunzelnd über ihr, nachdem sie zu Boden ging. Benommen, nicht bewusstlos.
Sie nimmt sich vor, ein wenig an ihrer Kraft zu arbeiten und vertraut auf das Gift, das ihre Klinge an den Körper der Frau weitergegeben hat, als sie den roten Apfel neben ihrem Opfer fallen lässt und zusieht, wie dieser an einer dunklen Stelle neben ihr auf dem Boden liegen bleibt, die sich langsam vergrößert.
Dann lässt sie die Tür ins Schloss fallen und lenkt ihre Schritte dem Tor der Siedlung zu, die blitzenden Klingen der Dolche im Mondschein betrachtend.

Schnell und einfach.
Sie hat mich nicht gesehen.
Kein Kunststück, dazu muss ich keine Klinge sein. Teresa reicht aus.

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