24 Feb 2017

an apple a day...

“Eigentlich ist ja keine Apfelzeit, Miss.”
“Aye. Und?”
“Nun ja… Deswegen der Preis.”
“Aye… Und?”
“.... den Ihr bitte noch zu entrichten hättet…” Der Asura reibt sich nervös die Hände und zieht über seine überdimensionierten Brillengläser hinweg zu der Frau auf, die gerade krachend in einen leuchtend roten Apfel beißt und schmatzend kaut. Ein salziger Windstoß zerzaust ihr das schwarze Haar, dass vermutlich nie einen Kamm gesehen hat. Also wischt sie es sich mit dem Handrücken der Hand die den Apfel hält nachlässig aus dem Gesicht, wobei der Saft des Apfels an den Fingern entlang läuft und auch im Haar landet.
Widerlich.

“Aye. Aber is’n Geschenk”, kommentiert die tumbe Person mit vollem Mund. Wobei sie erst noch den süßen Saft der Frucht schlürft, damit er ihr nicht in Sturzbächen mit dem eigenen Sabber aus dem Mund läuft, “un’ zwar nich für’n Freund, mussde wiss’n.” Fügt sie dann hinzu, schluckt und beißt genussvoll wieder in den Apfel.
“Unabhängig davon, was ihr mit der Ware zu tun gedenkt, Miss-”
“Seitenhieb.”
“... möchte ich… Was?”
“Seitenhieb. ‘s der Name.”
“Oh. Miss... Seitenhieb. Nun denn, der Erwerb der Ware und ihr Preis ist vollkommen unabhängig von den Absichten, die ihr damit habt.”
“Aye.” Sie blinzelt. Einmal, zweimal. “… Hä?”
Er seufzt wieder. “Der Preis ändert sich nicht, Miss Seitenhieb.” Hier hat er es mit der Eloquenz in Person zu tun. Mit einem weiteren Seufzer, der die Probleme ganz Tyrias in sich trägt, legt der asuranische Händler ihr noch zwei weitere Äpfel in den Arm. Nach kurzem Zögern und einem weiteren Blick in ihr leer wirkendes Gesicht noch zwei weitere. Mit dem, den sie gerade isst, sind es also sechs zum Preis von zweien. Er sollte sich schämen, findet er.
Jetzt grinst die kleine Menschenfrau breit und zeigt dabei wirklich interessante Grübchen in ihren Wangen. Interessant, weil diese Veränderung in der Mimik einen Eindruck verschafft, als hätte jemand im inneren des Kopfes der Frau ein sehr helles Licht entfacht. Mitten im Verstand, sozusagen.
Sie beißt grinsend wieder in den Apfel und hält ihn mit den Zähnen fest, während seine eigene Miene unverhohlene Frustration darüber ausdrückt, ihr auf den Leim gegangen zu sein. Nebenbei kullern und klimpern neben ihm auf dem Tisch einige Münzen, die ‘Miss Seitenhieb’ für zwei Äpfel hätte bezahlen müssen.
“Naja… Es sind ja nur Äpfel”, versucht er sich selbst einzureden.


Etwa eine Stunde später steht Aithne am Rand der Straße und sieht zu einer Reihe von Hauseingängen hinüber. In der linken hat sie eine Karte der Stadt, die an Touristen ausgegeben wird. Laien-Material. In der rechten hält sie einen grünen Apfel.
“‘s zweite rechts vonne Portale aus. ‘rechts’. Aha.” Sie starrt auf die Karte.
Sie schnutet mismutig und betrachtet den Apfel. Dann murmelt sie in ihren nicht vorhandenen Bart. “Dreckslandratte, eh. ‘rechts’. ‘s gibt’s nich’! ‘s gibt Backbord un’ steuabord. ‘s gibt luv un’ lee. ‘s gibt Ost’n un’ West’n un' Nord'n und Süd'n. ‘s gibt hier und ‘s gibt da, und 's gibt ob'n un' unt'n. Aber nich’ ‘rechts’.”
Die kräftige Stimme schafft es nicht lang, beim leisen Murmeln zu bleiben und zieht die Aufmerksamkeit einer alten Frau mit Karren auf sich, die hinter ihr die Straße entlang rumpelt.
“Rechts ist, wo dein Herz nicht schlägt, Kleines”, meint die Alte gutmütig und setzt ein entschuldigendes Lachen nach, als die Piratin sich zu ihr umdreht und sie böse anfunkelt.
“Oh, du bist älter, als deine Größe schließen lässt. Entschuldige.” Mit üppigen wogenden Hüften und Busen watschelt die stämmige Alte näher, den Karren vorerst stehen lassend. Gehüllt in ein buntes, altmodisches Monster von einem Kleid, behangen mit angelaufenem Schmuck, stellt sie sich einfach dazu und sieht schließlich ebenfalls zu den Hauseingängen hinüber.
“An Land also”, meint die Dreißigjährige und übergeht einfach, dass man sie (mal wieder) für ein junges Mädchen hielt, nur weil sie kaum mehr als einmeterfünzigundeinbisschen misst und man ihr nicht gleich ins Gesicht gesehen hat.
“Wie bitte?” Die Alte hat im Gesicht mindestens genauso viel Farbe wie in dem modischen Unfall von einem Kleid, findet Aithne, obwohl sie kaum Ahnung von Mode hat. Das Üble ist, dass sich die Farbe im Gesicht in den Lach-, Sorgen- und Altersfalten verläuft. Außerdem schwitzt sie. Eigentlich ein Wunder, dass sich im Decollete noch keine bunte Soße gesammelt hat. Ihr dicker Haarknoten ist mehr grau als rot und lose Haarsträhnen kleben an ihrer Stirn, als hätte man sie gerade eben mit Wasser übergossen.
“Na, wo mein Herz nicht schlägt. ‘s wär wohl an Land”, ergänzt Aithne ihre Antwort, klingt dabei aber mehr als nachdenklich. Irgendwas hat die Alte an sich, dass ihren Gedächtnisapparat in Gang setzt. Ein paar Herzschläge lang starren die beiden Frauen sich wortlos an, bis die Erkenntnis sie nahezu gleichzeitig trifft.
“Hol mich der Klabautermann! Du bis’ die Franse!” - “Meine Güte, du bist die Kleine von Emma und Freddy!” - “Aye, ‘s bin ich. Wie geht’s ‘n dir?!” - “Kleines, als ich dich das letzte Mal gesehen hab, wolltest du heiraten! Wo ist denn der Glückliche?” - “Has’ du noch nach der Zerstörung den Puff selbs’ aufgemacht?” - “Aye, das habe ich, Kleines.”
Noch ehe sie antworten kann, wird sie an den viel zu weichen und viel zu schweißfeuchten Busen gezogen und so fest geherzt, dass sie fürchtet zu ersticken. Aithne muss sich förmlich freistrampeln, um dem festen Griff der ehemaligen Kollegin ihrer Mutter zu entkommen. “Eh, is’ gut, Franse. Is’ schon gut. Ich wollt noch atmen un’ so, ne. hehehe.”
“Franse hat mich seit Jahren niemand genannt, Kleines. Den Schal bekomme ich auch kaum noch um die Hüften.” Beinahe stolz wirkend stemmt ‘Franse’ ihre Hände in die Seiten und schwingt die Hüften, wie sie es vor Jahren in dem Bordell getan hat, gekleidet in nichts mehr als einen schwarzen Fransenschal. “Aye. Erinner’ mich noch, wie du mir die Sache mit’n Hüft’n gezeigt has’. Hehehe.” Außerdem erinnert sie sich auf ihren heißen Neid als kleines Mädchen auf die die üppige feuerrote Mähne, von der heute nur noch Grau und Schweiß verblieben ist.
“Und ich erinnere mich, dass du schon damals Probleme mit rechts und links hattest.” Gutmütig legt sie Aithne den feisten Arm um die schmalen Schultern. “Und Lesen und Schreiben, nicht wahr?”
“Aye”, meint die Hurentochter knapp und lässt die Freude aus ihrem Gesicht perlen wie Tautropfen von Blütenblättern. Prompt wird sie wieder geherzt, diesmal seitlich. “Uff.”
“Also,” beginnt Franse mütterlich, “Das hier ist dein rechter Arm,” und knufft eben jenen zu fest, was ebenfalls mit “Uff” kommentiert wird. “Warum sagst du mir nicht, wen oder was du suchst, dann finden wir ihn oder es, und anschließend erzählst du mir von deinem Vater, deinem Mann und ich stelle dir die Mädchen vor! Es sind nur vier. Aber gute Mädchen, jung und fleißig. Sie werden dich mögen!”
“Aye, kann sein. Du weißt schon, dass ich mehr so’n Vaterkind bin, ne? Un’ schon lange selbs’ Kapitän, ne? Der Alte is übrigens beim Angriff verreckt. Kalle gibt’s übrig’ns auch nich’ mehr. Was mit der Alten war, weißde ja.” Franse nickt beklommen und seufzt. Traurige Erinnerungen an die Eltern, die sie beide persönlich kannte. “Aye, Vaterkind. Emma war verdammt stolz, dass du nicht in ihre Branche eingesteigen bist. Das waren wir irgendwie alle. Wenn Sie dich jetzt sehen könnte! Du bist so… nun, nicht groß. Aber erwachsen.” Die Alte lacht wieder auf ihre gutmütige, herzliche Puffmuter-Art und Aithne kann nicht anders, als darauf einzustimmen. Auf ihre Art. “Hehehe.”
“Un’ weil ich erwachsen bin, nehm’ ich Erinnerung’n und ‘ne Pulle Rum. Aber das hier,“ sie hält den Apfel hoch, “erledige ich problemlos selbs’.”
Zielstrebig dreht sie sich auf dem Absatz um und geht in eine ganz andere Richtung, auf einen bestimmten Hauseingang zu. Dafür braucht sie ein paar Minuten, denn sie hatte sich mehr vertan, als sie gedacht hatte. Das Löwenstein nicht mehr aussieht wie Löwenstein macht es ihr dabei nicht leichter. Problemlos unterscheidet die Piratin Himmels- und Windrichtungen. Aber Links und Rechts waren ihr schon immer ein Rätsel. Komplizierte Formeln, die nur asurisch sein können. Ausgedacht, um bookah vorzuführen, da war sie sicher. Wenn sie sich dann noch nicht heimisch fühlen kann, ist sie praktisch verloren.
Der Weg zur entsprechenden Tür um einen Apfel direkt davor abzulegen und wieder zurück zur alten Franse zu gehen, eignet sich außerdem das Gefühl abzuschütteln wieder 10 Jahre alt zu sein und auf Besuch bei der Mutter an Land. Seit Aithne als Kleinkind ihre ersten Schritte auf hoher See an Bord eines Schiffes gemacht hatte, hatte sie sich an Land stets unsicher, unbedeutend und schwach gefühlt. Scheißgefühle, wie sie findet. Landratten-Gefühle.
Normalerweise war das in Löwenstein anders. Diese Stadt, von Seevolk für Seevolk gebaut, verkörperte alles was ihr Vater ihr damals beibringen konnte. Vielleicht tut sie das jetzt immer noch. Nur eben auf eine zugedröhnte, kitschige Klischee-Art. Da kann nur ein Götterfelser Kiffer dahinter stecken. Das steht für sie fest.
“Sag ma’, Franse,” fragt sie deswegen die Alte Hure, als sie wieder bei ihr ist, “Was is’n hier eigentlich passiert? Warum is’n auf der Deverol-Insel kein Haus mehr?”
“Schätzchen. Eines nach dem anderen. Lass uns erstmal gehen und unterwegs erzählst du mir, warum die das mit den Äpfeln immer noch machst, wo es doch mal so fürchterlich schief gegangen ist…”
Gemeinsam gehen die Beiden weiter die Straße entlang und über die nächste Brücke. Der Weg zu Franse’s kleinem Bordell ist lang, aber sie haben einiges zu besprechen.

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