31 Jan 2013

Frau Schneider und die Handwerker (7)

Dieselbe Nacht
Weit nach Mitternacht




Der Schmied

Die gleichermaßen gespenstische wie zauberhafte Stille einer Winternacht liegt auf der Landschaft.
Elisabeth sieht sich um. Sie trägt ihren Pyjama, friert aber nicht. Wenn sie die Hand ausstreckt, landen die dicken Schneeflocken tanzend auf ihrer warmen Hand und schmelzen. Sie wischt die feuchte Hand an der dünnen Baumwollhose ab und stapft barfuß durch den tiefen Schnee. Ihre Füße wirken rosig, verglichen mit dem reinen Weiß, in das sie einsinken.

Wieder spürt sie keine Kälte.
Um sie herum werfen Tannenzweige die schwere Schneelast von ihren Zweigen, wenn sie es nicht mehr tragen können. Ein Tier, sie kann es nicht sehen, streift einige Meter entfernt durch die Bäume und hinterlässt Spuren im Schnee.
Sie geht weiter die eingeschneite Waldlichtung entlang, bis sich vor ihr eine große Schneefläche ausbreitet. Ein merkwürdiges Gefühl stellt sich ein. Das hier ist sicher keine Wiesenfläche, da ist sie sich sicher. Vorsichtig geht sie ein paar Schritte am Rand entlang, leicht geduckt und lauernd, obwohl sie weit und breit nichts und niemanden sehen kann.
Elisabeth ist verwirrt. Sie hat das Gefühl, hier sein zu müssen, erkennt aber nicht warum. Winter, Schnee, Wald. Sie bemerkt keine Gefahr, also setzt sie ihren Weg weiter fort, mitten hinaus auf die freie Fläche. Weil sie die Kälte nicht fühlt, entgeht ihr die glatte Eisfläche unter ihren Fußsohlen zunächst. Erst als sie sich ein ganzes Stück hinausgewagt hat, spürt sie das Brennen an den Handinnenflächen und hört ein verräterisches Knacken und Reißen unter sich.
Noch ehe sie einen Gedanken daran verschwenden kann, wie sie das Brechen des Eises unter sich verhindern könnte, gibt es unter ihr nach. Brennend kalte Fluten rauben ihr den Atem, als sie hineinstürzt, lähmen die Glieder. Sie will schreien und das eisige Wasser erstickt sie, als es ihr in Mund und Nase dringt. Sie will nach Luft schnappen und spürt das Kalte Nass in ihrer Lunge. In Panik sucht sie über sich nach dem Loch im Eis, durch das sie gestürzt ist. Es ist fort. Eine massive, hellblau leuchtende Eisdecke schließt sie ein. Um sie herum ist es taghell, als wär sie ein einem beleuchteten Pool. Ihre Hände ziehen blutigen Nebel im Wasser mit sich, sie vermutet, sich beim Stürzen verletzt zu haben. Sie brennen wie Feuer. Ein abstruser Kontrast zur tödlichen Kälte, die sie umschließt.
Jemand schwimmt an ihr vorbei. Sie blinzelt und wendet den Kopf, greift instinktiv in die Richtung des Schwimmers. Er ist fort. Sie blinzelt wieder und sieht aus den Augenwinkeln wieder jemanden. Dieses Mal treibt die Person, schwimmt nicht. Es ist ein Mann.
Sie packt ihn an der Schulter und will sehen, wer hier mit ihr unter dem Eis sterben musste. Unter Aufbietung der letzten Kraft wischt sie der Person mit ihren blutigen Händen langes Haar aus dem Gesicht und tote braune Augen starren sie an…


Abrupt setzt Elisabeth sich auf. Beide Hände umfassen ihren Hals. Sie schnappt nach Luft und zittert, als wäre das eben kein Traum sondern grauenvolle Wirklichkeit gewesen.
Tu, was Mama dir sagt.
Ausgerechnet jetzt, nach dem Erwachen aus dem grauenhaften Traum erinnert sie sich der Worte ihres Bruders. Ihr Vater hatte sie ausgefragt, über die letzten Minuten im Leben seines Sohnes. Doch als die Sprache darauf kam, Tu, was Mama dir sagt. Versprich es mir!, blockte Hans-Werner Schneider urplötzlich ab und sah eine ganze Weile schweigend aus dem Fenster, bis er sie schließlich mit einem barschen „Ich will nicht darüber sprechen.“ abkanzelte. Sie hatte es akzeptiert, schließlich waren die Wunden seiner Verluste frischer als die Ihren.

Neben ihr auf dem Nachttisch summt ihr Smartphone stetig vor sich hin, das Display erhellt das dunkle Hotelzimmer. Instinktiv grabscht sie mit ungelenken Fingern danach, es rutscht ihr aus der Hand. Irgendetwas Feuchtes klebt an den Innenflächen und sie brennen an den Stellen wie frisch versengt.
Ich bin verschwitzt. Der Schmerz ist Einbildung.
Hektisch tastet sie neben dem Bett nach ihrem Telefon und schafft es schließlich, dass Gespräch entgegen zu nehmen.
„Miss Schneider.“ Meldet sich Joshua Blacks Stimme. Der Problemlöser. „Alles in Ordnung bei ihnen?“
„Alptraum.“ Keucht sie zur Antwort. „Was gibt es?“
„Beruhigen sie sich, es war nur ein Traum.“ Erinnert er sie unnötigerweise, ohne überhaupt zu wissen, um was es sich handelte. Dann kehrt er, sachlich wie immer, zu seinem Anliegen zurück.
„Ich wollte sie nicht wecken, Miss Schneider. Aber sie werden mir verzeihen, wenn sie meine Informationen hören. Da ihr Vater über den Berg ist, halte ich es für angebracht, mit ihnen persönlich zu sprechen.“
„Informationen? Persönlich?“ verwirrt streicht sie sich mit der freien Hand über die Stirn und durch das unordentliche Haar. „Wovon sprechen sie?“

„Wann waren sie das letzte Mal in Alaska, Miss Schneider?“

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