Dieselbe Nacht
Weit nach Mitternacht
Der Schmied
Die gleichermaßen gespenstische wie zauberhafte Stille einer Winternacht liegt auf der Landschaft.
Elisabeth sieht sich um. Sie trägt ihren Pyjama, friert aber nicht. Wenn
sie die Hand ausstreckt, landen die dicken Schneeflocken tanzend auf
ihrer warmen Hand und schmelzen. Sie wischt die feuchte Hand an der
dünnen Baumwollhose ab und stapft barfuß durch den tiefen Schnee. Ihre
Füße wirken rosig, verglichen mit dem reinen Weiß, in das sie einsinken.
Wieder spürt sie keine Kälte.
Um sie herum werfen Tannenzweige die schwere Schneelast von ihren
Zweigen, wenn sie es nicht mehr tragen können. Ein Tier, sie kann es
nicht sehen, streift einige Meter entfernt durch die Bäume und
hinterlässt Spuren im Schnee.
Sie geht weiter die eingeschneite Waldlichtung entlang, bis sich vor ihr
eine große Schneefläche ausbreitet. Ein merkwürdiges Gefühl stellt sich
ein. Das hier ist sicher keine Wiesenfläche, da ist sie sich sicher.
Vorsichtig geht sie ein paar Schritte am Rand entlang, leicht geduckt
und lauernd, obwohl sie weit und breit nichts und niemanden sehen kann.
Elisabeth ist verwirrt. Sie hat das Gefühl, hier sein zu müssen, erkennt
aber nicht warum. Winter, Schnee, Wald. Sie bemerkt keine Gefahr, also
setzt sie ihren Weg weiter fort, mitten hinaus auf die freie Fläche.
Weil sie die Kälte nicht fühlt, entgeht ihr die glatte Eisfläche unter
ihren Fußsohlen zunächst. Erst als sie sich ein ganzes Stück
hinausgewagt hat, spürt sie das Brennen an den Handinnenflächen und hört
ein verräterisches Knacken und Reißen unter sich.
Noch ehe sie einen Gedanken daran verschwenden kann, wie sie das Brechen
des Eises unter sich verhindern könnte, gibt es unter ihr nach.
Brennend kalte Fluten rauben ihr den Atem, als sie hineinstürzt, lähmen
die Glieder. Sie will schreien und das eisige Wasser erstickt sie, als
es ihr in Mund und Nase dringt. Sie will nach Luft schnappen und spürt
das Kalte Nass in ihrer Lunge. In Panik sucht sie über sich nach dem
Loch im Eis, durch das sie gestürzt ist. Es ist fort. Eine massive,
hellblau leuchtende Eisdecke schließt sie ein. Um sie herum ist es
taghell, als wär sie ein einem beleuchteten Pool. Ihre Hände ziehen
blutigen Nebel im Wasser mit sich, sie vermutet, sich beim Stürzen
verletzt zu haben. Sie brennen wie Feuer. Ein abstruser Kontrast zur
tödlichen Kälte, die sie umschließt.
Jemand schwimmt an ihr vorbei. Sie blinzelt und wendet den Kopf, greift
instinktiv in die Richtung des Schwimmers. Er ist fort. Sie blinzelt
wieder und sieht aus den Augenwinkeln wieder jemanden. Dieses Mal treibt
die Person, schwimmt nicht. Es ist ein Mann.
Sie packt ihn an der Schulter und will sehen, wer hier mit ihr unter dem
Eis sterben musste. Unter Aufbietung der letzten Kraft wischt sie der
Person mit ihren blutigen Händen langes Haar aus dem Gesicht und tote
braune Augen starren sie an…
Abrupt setzt Elisabeth sich auf. Beide Hände umfassen ihren Hals. Sie
schnappt nach Luft und zittert, als wäre das eben kein Traum sondern
grauenvolle Wirklichkeit gewesen.
Tu, was Mama dir sagt.
Ausgerechnet jetzt, nach dem Erwachen aus dem grauenhaften Traum
erinnert sie sich der Worte ihres Bruders. Ihr Vater hatte sie
ausgefragt, über die letzten Minuten im Leben seines Sohnes. Doch als
die Sprache darauf kam, Tu, was Mama dir sagt. Versprich es mir!,
blockte Hans-Werner Schneider urplötzlich ab und sah eine ganze Weile
schweigend aus dem Fenster, bis er sie schließlich mit einem barschen
„Ich will nicht darüber sprechen.“ abkanzelte. Sie hatte es akzeptiert,
schließlich waren die Wunden seiner Verluste frischer als die Ihren.
Neben ihr auf dem Nachttisch summt ihr Smartphone stetig vor sich hin,
das Display erhellt das dunkle Hotelzimmer. Instinktiv grabscht sie mit
ungelenken Fingern danach, es rutscht ihr aus der Hand. Irgendetwas
Feuchtes klebt an den Innenflächen und sie brennen an den Stellen wie
frisch versengt.
Ich bin verschwitzt. Der Schmerz ist Einbildung.
Hektisch tastet sie neben dem Bett nach ihrem Telefon und schafft es schließlich, dass Gespräch entgegen zu nehmen.
„Miss Schneider.“ Meldet sich Joshua Blacks Stimme. Der Problemlöser. „Alles in Ordnung bei ihnen?“
„Alptraum.“ Keucht sie zur Antwort. „Was gibt es?“
„Beruhigen sie sich, es war nur ein Traum.“ Erinnert er sie
unnötigerweise, ohne überhaupt zu wissen, um was es sich handelte. Dann
kehrt er, sachlich wie immer, zu seinem Anliegen zurück.
„Ich wollte sie nicht wecken, Miss Schneider. Aber sie werden mir
verzeihen, wenn sie meine Informationen hören. Da ihr Vater über den
Berg ist, halte ich es für angebracht, mit ihnen persönlich zu
sprechen.“
„Informationen? Persönlich?“ verwirrt streicht sie sich mit der freien
Hand über die Stirn und durch das unordentliche Haar. „Wovon sprechen
sie?“
„Wann waren sie das letzte Mal in Alaska, Miss Schneider?“
No comments:
Post a Comment